11. Oktober 2024 – Yasmin Alinaghi liest im Bermbacher Gemeindehaus aus „Unwert“
Über den Mut, in schwierigen Zeiten das Richtige zu tun
Die Bermbacher Bücherei veranstaltete ihre Herbstlesung, und viele Besucher waren der Einladung gefolgt. Zu Gast war Yasmin Alinaghi, deren Roman „Unwert – der Weg des Kirschmädchens“ sich einem unrühmlichen Kapitel deutscher Geschichte widmet, das sich hoffentlich niemals wiederholt. Die Handlung spielt 1935 in einem kleinen Dorf im Rheingau, wo Käthe Klepper, die die Schule nur drei Jahre besuchen durfte, auf einem Bauernhof aufwächst. Als sich der Erntehelfer Zores mehrfach an der erst Dreizehnjährigen vergeht, gerät ihr Leben aus den Fugen. Nicht etwa der Unhold muss sich verantworten, sondern das Vergewaltigungsopfer sieht sich unvermittelt als Angeklagte vor Gericht peinlichen Fragen zwecks Prüfung und Feststellung ihrer Intelligenz ausgesetzt. Mucksmäuschenstill und mit ungläubigem Kopfschütteln lauschen die rund 60 Gäste im stimmungsvoll erleuchteten Gemeindesaal der zierlichen Autorin, als sie Passagen aus dem Prozess gegen das Mädchen vorliest. Das Urteil des Erbgesundheitsgerichts steht von vornherein fest: bei Käthe wird „angeborener Schwachsinn“ diagnostiziert, sie ist unfruchtbar zu machen! Alinaghi verrät dem betroffenen Publikum nicht, wie es weitergeht, lässt aber Raum für Hoffnung.
Die Handlung ihres Romanes beruhe leider nur in Teilen auf Fiktion, erläutert sie im Anschluss an die eindringliche Lesung. „Ich habe über das Schicksal der Käthe Klepper geschrieben, um an die Gräueltaten des nationalsozialistischen Terrorregimes zu erinnern“, macht die sympathische Schriftstellerin, die für ihre Erzählung „Unwert“ den Storyteller X Award gewonnen hat, deutlich. 400.000 Menschen mit erblichen Behinderungen seien von den Nazis zwischen 1934 und 1945 zur sogenannten Reinerhaltung der deutschen Rasse unfruchtbar gemacht worden. Auch erbgesunde Menschen wie Käthe hätten sich nachweislich einer unfreiwilligen Sterilisation unterziehen müssen, die oft ohne ihr Wissen im Rahmen eines anderen medizinischen Eingriffs vorgenommen wurde.
Yasmin Alinaghi hat seit ihrer Kindheit in verschiedenen Ländern Europas, in Amerika und dem Nahen Osten gelebt und später u. a. für das Europäische Parlament gearbeitet. Seit 2017 ist sie Landesgeschäftsführerin des Paritätischen Wohlfahrtverbands Hessen. In ihrer Freizeit schreibt sie Romane, Kurzgeschichten und Kinderbücher.
Die Geschichte von Käthe Klepper beschäftigt die Besucher im Bermbacher Gemeindehaus noch lange, und beim liebevoll vom Büchereiteam und einigen Lesern zusammengestellten Fingerfood-Buffet wird intensiv weiter diskutiert.